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Der Schachzug des Fleischers

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3Köln, “Night of the Raging Bulls”: Das erste Mal Boxring, Schwergewicht, 700 wildgewordene Zuschauer, der Gegner ein Marathonläufer. Wenn das kein Kampf mit sich selbst ist. Und mit dem Kippenigel.

(Die Story ist in dieser Version im Ruhrbarone-Bookzine #5 erschienen)

In vier Wochen ist mein großer Tag, dafür muss ich fit werden. Unbedingt.
In vier Wochen wird sich zeigen, ob ich der großen Herausforderung gewachsen bin.
In vier Wochen ist mein erster offizieller Boxkampf. Und heute habe ich Training.

* * *

Seit drei Jahren mache ich Muay Thai. Ich mache das, um fit zu bleiben und mich zu bewegen. Als ich das erste Mal da war, hat es 20 Minuten gedauert, bis ich fast kotzen musste. Ein guter Freund hatte mich mitgenommen und dem Trainer vorgestellt. Joe erklärte mir die Ausgangsposition und ließ mich eine Stunde stupide Schrittfolgen und Schläge machen, langweilig. Doch obwohl ich nur kleine Trippelschritte machen musste und ausschließlich den linken Jab schlagen, fühlte ich ich mich wie ein Kartoffelsack. Mein linker Arm entwickelte ein eigenes Gehirn und gehorchte mir nicht mehr, erschütternd.

Doch nach vielen Wochen und vielen Trainingsstunden wurden Fortschritte unübersehbar. Es macht jetzt richtig Spaß. Ich gehe vier bis fünf mal die Woche trainieren, kenne die Namen der anderen Haudegen hier. Fitty heißt mein Trainings- und Sparringspartner, Franzl kümmert sich um den Feinschliff bei uns Bewegungslegasthenikern.

Es ist schon spät, als nach dem Training im China-Imbiss mein Handy klingelt. Am Telefon meldet sich Ricardo, ein Freund aus Köln. Er habe Freunde, die einen Boxkampf veranstalten. Jeder könne sich anmelden und gegen einen Kumpel boxen, mit offiziellem Wiegen, Pressekonferenz, martialischem Filmeinspieler und der ganze Scheiß. Die Jungs nehmen sich und die Veranstaltung nicht ganz ernst, das Ganze ist ein bisschen Comedy und ein bisschen Show, geboxt wird aber richtig und nach internationalem Boxreglement. Man denkt sich einen Kämpfernamen aus, strickt sich eine abgefahrene Biographie zusammen und macht dann abends beim Kampf ein Fass auf. Mit Drohungen bei der Pressekonferenz, Beleidigungen, auf dicke Hose machen, Boxen eben.

Ricardo macht eine bedeutungsschwangere Sprechpause, bevor er mich fragt: „Sascha, würdest Du gegen mich boxen?“

Ich sehe mich in dem China-Imbiss um, als hätten alle das Gespräch mithören können. Vor mir spult sich ein Film ab. Ich, von den Scheinwerfern des Boxrings ausgeleuchtet, Schweiß tropft in Zeitlupe von meiner Stirn, die Frauen kreischen meinen Namen und drängen zum Rand des Rings. Mein Coach nickt zufrieden, während mein Gegner reanimiert wird und sein Trainer mit einem Handtuch das Blut vom Ringboden zu wischen versucht. Hinter mir steht Michael Buffer, nach meinem Arm greifend, um ihn in die Höhe zu strecken, und ruft: „The NEW Heavyweight Champion of the World….“ Ich bekomme eine Gänsehaut, auf der man Möhren raspeln könnte und höre mich in das Handy sagen: „Alles klar, Ricardo, ich bin dabei!“

Ich fahre nach Hause und verbringe die restliche Nacht damit, über einen Kampfnamen nachzugrübeln. Nicht einfach. Wie kann man sich nennen, ohne billig oder aufschneiderisch zu klingen und trotz allem noch Angst und Schrecken zu verbreiten? Alles ist besser als Arthur Abraham, aber ich brauche einen Namen. Einen Namen. Einen Namen. Ich hab´s: „EL PULPO“, der Tintenfisch. So nannten mich die Hotelangestellten in Spanien, immer wenn der volltätowierte Vollasi aus dem Pool kletterte. Aufgrund der Farbe in meiner Haut und dem Wasser drum herum, fanden sie Tintenfisch offenbar witzig.

El Pulpo, the mexican Kickass – ein Name, der Köln erschüttern und in aller Munde sein wird, wenn meine eiserne Faust sein Denkmal in das Gesicht meines Gegners geschlagen hat. Lächelnd schlafe ich ein. Der nächste Morgen ist energiegeladen, als hätte ich über Nacht ein autogenes Training absolviert, dass Körper, Geist und Schwanz stärkt. Ich fühle mich gut, stark. Vor dem Spiegel im Bad sehe ich mir tief in die Augen und sage mir ins Gesicht: „Guten Morgen, Champ!“ Ich kneife ein Auge zu und imitiere mit meiner Hand einen Colt Peacemaker, den ich gerade auf mich selbst abgefeuert habe. Bescheuerte Geste. Eigentlich.

Die Tage ziehen ins Land, ich trainiere nicht mehr jeden Tag, sondern jeden zweiten. Die Muskeln sollten Regenerationsphasen bekommen und meine Leber auch. Für den Vorkampf-Trailer ist meine Kamera häufig im Einsatz, Fitty filmt mich, ich filme Fitty. An einem Trainingsabend habe ich die Kamera auf ein Stativ gestellt und beginne mit Seilhüpfen. Schnelles Seilhüpfen. Verdammt sauberes, schnelles Seilhüpfen. Ich trage dabei eine thailändische Shorts mit dem Aufdruck „DESTROYER“. In meinen Händen halte ich nur zusammengerollte Handbandagen, aber es sieht so aus, als ob sich das Seil so schnell bewege, dass man es nicht mehr erkennen kann. Ich lege einen Filmlook-Effekt mit Flimmern über die Aufnahmen, dazu kommen ein paar Schläge am Boxsack, an der Boxbirne, dazu gute Musik, natürlich „Eye of the Tiger“. Der Clip gefällt mir, er ist dynamisch, bedrohlich und unterhaltsam. Und hat nur eine Minute Spieldauer.

Doch heute ist Dienstag. Mein Kampf ist in vier Wochen und ich habe Training.
Ich sitze im Wohnzimmer und packe die Tasche. Bandagen, Boxhandschuhe, Mundschutz, Tiefschutz. Zum Training gehen fordert mittlerweile mehr Disziplin als das Training selbst; läuft wohl unter dem Namen „Übertrainiert“. Schon der Weg zum Auto ist unüberwindbar. Egal! Ich mache ein hasserfülltes Gesicht, werfe die Tasche über die Schulter und will gehen, als mein Blick über den Wohnzimmertisch streift und auf den großen, zum Bersten gefüllten Aschenbecher – den Kippen-Igel.

Mittendrin steckt ein halber Joint. Eigentlich fast ein ganzer Joint, nur angeraucht und dann vergessen oder zwischen den anderen Stummel im Igel untergegangen. Das Wort „Frevel“ taucht über dem Igel auf. Ich stelle die Tasche ab und setze mich wieder auf die Couch. Training ist ja so gleitzeitmäßig angelegt, da kann man später kommen und auch länger bleiben, das stört niemanden. Einmal kann ich ja ziehen. Nachdem ich die kleine Kakerlake aufgeraucht und den Filter in die Untiefen des Igels gepresst habe, lehne ich mich zurück und greife mir die Fernbedienung. Morgen ist ja auch noch Training.

Die Abende in den nächsten Wochen gleichen sich in der Gestaltung, die Trainingsabende werden seltener, die Tütchen häufiger. Wenn ich doch mal zum Training gehe, kommt es mir vor wie beim ersten Mal. Kurzatmig, verschwitzt und völlig fertig knie ich in der Dusche. Trainer, Sparringspartner, alle lassen mich wissen, dass es für sie ausgeschlossen erscheint, dass ich mit der Einstellung auch nur ansatzweise etwas hinbekommen werde, das wie ein professioneller Boxkampf aussieht. Ich teile ihre Meinung, bin aber nicht ehrlich genug zu mir selbst, um das auch wirklich zuzugeben.

Heute ist der 16.07.2005…, der große Tag. Ich scheiß mich ein!

boxen 033Der Morgen beginnt schon ziemlich fahrig für mich, ich stehe mit einem Grundzittern in den Knochen auf und mache mir zuerst mal einen Kaffee. Ich muss auf der Stelle kacken. Mein Magen grummelt und rumort, ich fühle mich nicht gut. Der Rotwein von gestern Abend macht das Ganze nicht besser und auch Freunde können die Stimmung nicht retten. Sie geben sich wirklich Mühe um mir die Angst auszutreiben und mir einzureden, ich sei der weltbeste Boxer und würde nicht nur meinem Gegner, sondern auch dem Lampenfieber mit Leichtigkeit auf die Fresse hauen.
Es kommt mir vor, als wäre ich noch im Tiefschlaf und würde das alles nur träumen. Die Realität holt mich allerdings ein, als es klingelt und Franzl, mein Trainer und Alex, mein Manager vor der Tür stehen. Alex soll bei der Pressekonferenz den Part übernehmen, den ich nicht machen will. Er soll reden, auf Fragen aus dem Publikum und von der Presse antworten. Ich sitze nur grimmig daneben und spucke in Richtung meines Gegners.

Die Fahrt nach Köln ist endlos lang, obwohl ich apathisch durch die Windschutzscheibe auf die Straße sehe und eigentlich nichts mehr mitkriege, außer das rythmische Schaukeln des Fahrzeugs. Super…, noch nicht mal geboxt und optisch schon auf dem gleichen Level wie Muhammad Ali.
Franzl schiebt seinen alten, weinroten 190er Benz durch die Aneinanderreihung von Einbahnstraßen und verkehrsberuhigten Zonen der Domstadt, bis wir unser Ziel sehen können. Das Gloria.
Ich kenne das Gloria aus dem Fernsehen, drin war ich noch nie. Wir parken den Ludenkarren um die Ecke und gehen langsam in Richtung Menschenmenge. Etwa 100 Leute stehen in Reih und Glied vor dem Eingang, saufen, lachen und gröhlen durch die enge Straße. Die Frauen sehen aus wie Schlampen, sie tragen falsche Pelzmäntel, hohe weiße Lederstiefel oder Netzhemden zu Hotpants. Die Kerle schmücken sich mit Pornobärten, Carrerasonnenbrillen und Hüten zu schwarzen Anzügen und Schlangenledercowboystiefeln. Das Motto ist Pimps & Hoes, wie ich an der Kasse erfahre. Auch auf der Eintrittskarte steht deutlich geschrieben: „HALBSEIDENES PUBLIKUM AUSDRÜCKLICH ERWÜNSCHT!“

Der Pöbel muss noch etwas draußen warten und wir gehen durch den Kassenbereich in den Hauptraum. Ich erstarre. Vor mir ist ein recht großer, komplett ausgeleuchteter Raum mit Bühne, verschiedenen Bars, Großleinwänden und in der Mitte….ein Boxring.
Alt, speckig, fast wie aus einer Boxbude einer Kirmes . Die sonst weißen und elastisch gefederten Ringseile sind hier bei diesem Modell allerdings aus Naturhanf. Gedreht und ausgefranst weisen sie Spuren etlicher Kämpfer auf, die sich ihre Haut daran abgeschreddert haben. Ich atme tief ein und drehe mich zu meinen Jungs um. Franzl und Alex grinsen mich an. Sie wissen, wie es in mir aussieht, und weil es nur eine Spaßveranstaltung ist, und das Schlimmste, das passieren kann, ist, dass ich mich der Lächerlichkeit preisgebe, sind sie relaxt, gut gelaunt und, ja, fast etwas belustigt. Ich kann ihre Einstellung nicht auf mich übertragen. Ich stelle mir vor, wie ich gleich in diesem Ring, vor vielleicht 200 Leuten, gegen einen anderen Typen boxen soll, ohne jemals einen echten Kampf nach Boxregeln bestritten zu haben.

boxen 008_2Von der Bühne aus ruft mich jemand: „El Pulpo! Hier…, komm rüber!“ Ein Typ wie aus einem Siebziger Jahre Pornofilm mit Schnäuzer und Trainingsanzug winkt mich zu sich. „El Pulpo“ – ich muss lachen. Das erste Mal, dass mich ein Fremder mit diesem scheiß Namen begrüßt, den ich mir bekifft im Bett ausgedacht habe.

Sönke, so heißt der Kölner John Holmes, reicht mir seine Hand, erklärt uns den Ablauf des Abends und zeigt uns die Kabinen. Er ist einer der Begründer und Veranstalter der „Night of the raging bulls“. Man merkt, dass man ähnlich tickt und wird schnell warm miteinander, Sönke ist ‘ne coole Sau. Alleine schon weil er den ganzen Scheiß hier entworfen und durchgeführt hat, den Abend organisiert und auch noch selbst boxen wird. Ich sehe in seine Augen und versuche Nervosität oder gar Angst zu entdecken, das kann ich riechen. Nichts! Keine Anzeichen von mangelnder Kontrolle über irgendwas. Arschloch!

In der Kabine angekommen lerne ich die anderen Boxer des Abends kennen, mein Kontrahent ist nicht dabei. Meine Mundwinkel zucken, als ich den Raum betrete: „Hey…, El Pulpo mein Name. Wo kann ich mich umziehen und warm machen?“ Die anderen begrüßen mich mit Ghettofaust, nicht nur aufgrund der bandagierten Hände. Die Kämpfer stellen sich gleich mit Kämpfernamen vor. Ich lerne also kennen: „Be God“, der gegen „The Bone Breaker“ antreten wird. „Oldboy“, der sein Glück gegen Sönke, „Der Fleischer“ versucht und natürlich „El Ritmo“, dessen Gegner „Das Nackenkotelett“, wie ein laufendes Sixpack aus Bauchmuskeln aussieht. Unterstützt werden die Kämpfer von dubiosen Managern und Typen, die „Tank“ oder „Highroller“ heißen und zum Schluss wird mir noch ein Veteran der Veranstaltung vom letzten Jahr vorgestellt, „Schubdawg, da pimpin fist“, der seinen Gegner, „Die knochenbrechende Pumpgun“ klar besiegen konnte. Gut, dass hier alle einen am Schädel haben, ich bin also in bester Gesellschaft!

Konzentriert ziehe ich mich um und versuche meine Gedanken auf das zu fokussieren, was ich gelernt habe. Was war das noch gleich?Franzl bandagiert mir professionell die Hände, und wir gehen runter in einem Raum hinter der Bühne, in dem wir zum Aufwärmen mit den mitgebrachten Pratzen von Joe ein paar Schlagübungen machen. Nach ein paar Minuten bin ich drin. Ich schlage kurze, schnelle Schläge. Links, rechts, linker Haken. Links, rechts, links … Die Nervosität weicht und ich merke, wie gut manche der Schläge sitzen, das hört man am Geräusch, dass die Pratzen machen, wenn die Schlagfläche des Handschuhs optimal getroffen hat. Die Power ist auch OK. Ich schmunzle etwas bei dem Gedanken daran, heute Abend mit einem Boxgürtel ausgezeichnet zu werden. Die Sicherheit wächst mit jedem Schlag auf die Pratze und lässt sogar noch Platz für Euphorie in meinem kleinen, manischen Gehirn.

„Hey, Tintenfisch-Typ!“ ertönt es hinter mir und ich dreh mich rasch um. Da steht er. Mein Gegner. Ricardo. Ricardo… Ricardo, „De fiesen Möpp“! Trotz seines lächerlichen Kampfnamens macht er einen imposanten Eindruck. Er ist muskulös, zwar etwas kleiner als ich, aber er läuft Marathon. Kampfsport hat er aber – glaube ich – noch nie gemacht, jedenfalls nicht über einen längeren Zeitraum. Als ich bemerke, dass er schon länger hinter mir gestanden haben muss und die Härte und Perfektion meiner Pratzenschläge mitbekommen hat, sehe ich Sie. Die Angst in seinen Augen. Ein verzerrtes Lächeln, leicht gerötete Wangen, unsicher hängen die Arme am Torso wie Spaghettis mit eigenem Hirn. Ich kenne diesen Blick, ich hatte ihn selbst bis gerade noch. Jetzt bin ich mir sicher.

Ich werde ihn in der ersten Runde etwas taktieren und sehen wie er sich bewegt und sobald die Glocke zur zweiten Runde läutet, haue ich den Lappen aus den Schuhen. Sicher! „De fiesen Möpp“ lächelt mich an und dreht sich zu seinem Manager um, ein halbseidener Typ in grauem Glitzeranzug und mit blaugetönten Gläsern in der goldenen Brillenfassung, der ihm andeutet, in die Kabine zu gehen.

Nachdem alle soweit fertig aufgewärmt und umgezogen sind, klärt uns Sönke darüber auf, dass wir gleich zur Pressekonferenz auf die Bühne müssen. Immer die beiden Gegner mit Trainer und Manager. Fragen aus dem Publikum, offizielles Wiegen in Unterwäsche und den Rest der Zeit Witze über seinen Kontrahenten machen und Beleidigungen absondern.

boxen 018„Es ist doch mehr los als wir dachten…, 700 Leute wollen heute euer Blut sehen!“ Sönke lacht und zeigt mit dem Finger auf uns. Hat er vergessen, dass auch nach seinem Blut verlangt wird? Der nervöse Blick von Ricardo springt direkt wieder in meine Fresse, und ich stelle mir vor, wie es vor der Bühne wohl aussieht. 700 bescheuerte Typen und Mädels, die aussehen wie Zuhälter und Nutten, schreien sich die Kehle wund und klopfen mit den flachen Händen auf den Ringboden. Kolloseum- Atmosphäre. Es wird ernst. Ich frage mich nun wirklich, ob das die richtige Entscheidung war. Der Blick in die Gesichter der Anderen verrät mir, dass ich nicht der einzige Verunsicherte bin. Alle haben den Blick mit der tanzenden Unterlippe aufgesetzt, und jeder gibt alles, um bloß nicht so auszusehen.

Die Trailer der Kämpfer werden unter lautem Gejohle auf Leinwand vorgeführt und wir erhaschen einen Blick auf die Halle, durch den Vorhang, durch den wir später einmarschieren werden. EinTollhaus. Nur Wahnsinnige. Alle auf laut und dreckig eingestellt. Chaos mit Alkohol und Koks. Eigentlich die fast perfekte Party, wenn die nicht alle hier wären, um zu sehen, wie wir uns auf die Fresse hauen.Da Ricardo und ich gewichtsmässig im Schwergewicht antreten, sind wir der Hauptkampf des Abends und müssen als Letzte ran, sagt der Fleischer. Ich freu mich.

Völlig desorientiert taumeln unsere Mitstreiter durch den Ring, Referee Tobias „Tayfun“ Take ist professionell und hat trotz allem Mühe, die Kämpfer so aufeinander losgehen zu lassen, dass es keine Toten gibt. Alles Amateure. Das war Voraussetzung bei der Anmeldung und jetzt zeigt sich, dass diese Entscheidung ein gerissener Schachzug des „Fleischers“ und seiner Mitveranstalter war. Erwachsene Männer in 16 Unzen Ballonhandschuhen mit großen Kopfprotektoren hauen aufeinander ein und könnten dabei nicht unprofessioneller aussehen. Sie jagen sich durch den Ring, erfinden unglaubliche Schlagkombinationen und holen manchmal so weit aus, dass es an einen Tanz erinnert. Sirtakiboxing in Köln. Wir sind alle total enthemmt und schreien jeden Fight in Grund und Boden, ein geiler Abend. Wenn nicht gerade angekündigt würde, dass der nächste Kampf in fünf Minuten beginnt.

„De fiesen Möpp“ versus „El Pulpo, da mexican Kickass“

Mir ist schlecht. Ich hab Bock auf Schnaps. Ricardos Trailer läuft an, und ich gehe hinter die Bühne, um auf meinen Einmarsch zu warten. Der „Möpp“ kommt die Treppe hinunter und sein Walk-In-Theme erklingt. Wir sehen uns nicht in die Augen, ich stehe seitlich hinter ihm, als sich der Vorhang öffnet und der Ringsprecher Ricardos Namen brüllt. Als Announcer fungiert heute Abend ein Typ, der seine Ansagen beatboxt und die Namen mit wahnsinnigen, im Hals erzeugten gutturalen Lauten unterlegt. Dazu war dieser Ringsprecher in der Lage, sich innerhalb von drei Kämpfen in den Ringpausen während der Moderation eine ganze Flasche Gin reinzufeuern. Nun, zu unserem Kampf, ist er so voll, dass man ihn nicht nur nicht mehr versteht, sondern er auch zu besoffen ist, um nicht immer wieder durch den Ring zu torkeln und den Ringrichter als Stütze zu benutzen.

Nachdem der Vorhang sich geöffnet hat, sehe ich, von den gleißenden Scheinwerfern geblendet, in die geifernden, schreienden Grimassen des Publikums. Ich bekomme ein paar Spritzer Bier ab. Hände greifen nach Ricardo, als er sich den Weg durch die Menge hin zum Ring, bahnt. Er verschwindet durch den Nebel und die Scheinwerfer wie in Mareike Amados Zauberkugel. Im Moment erinnert es allerdings eher an „Running Man“.

Franzl flüstert mir ins Ohr, ich solle ruhig bleiben. Mein Brustkorb hebt und senkt sich wie der Arsch eines Teenies beim ersten Fick. Ich lege Handschuhe und Kopfschutz an. Dann höre ich meinen Walk-In-Theme, ein Remix von Michael Jacksons „Beat it“! Mein Herz springt in meiner Brust, ich springe durch die Nebelwand in die Menge. Meine Leute klopfen mir auf die Schulter, ich werde mit Bier geduscht, Frauen kreischen, fast wie in meiner Vorstellung als mich Ricardo beim Cina-Mann angerufen hat. Nur lauter, viel lauter, härter und animalischer, als ich mir das hätte ausmalen können. Ich stürze die Menschengasse hinunter zum Ring, klettere über einen Stuhl als provisorische Treppe hoch und betrete den Ring mit einem langbeinigen Schritt über das oberste Ringseil. Die Menge tobt, und ich sehe mich langsam um. Der Laden ist gerappelt voll, die Luft ist heiss, dick und nass. Schweiß, Bier und Kippenduft schlagen mir entgegen, der absolute Wahnsinn. Ich sehe in viele bekannte Gesichter, noch mehr unbekannte. Alle sehen mich an, sehen Ricardo an. Alle erwarten von uns, jetzt so richtig Gas zu geben. Ich hyperventiliere. Tobias Take nimmt uns an die Hand und gibt die übliche Schiedsrichter Einweisung, dann gehen wir in unsere Ecken. In meiner wartet Franzl und sieht besorgt aus. Er kaut an seinem Daumen. Franzl kaut nur an seinem Daumen, wenn etwas nicht richtig läuft. Ich scheiß drauf. Das ist meine Chance. Ich bin hier um zu kämpfen, also kämpfe ich. Und ich will gewinnen, also gewinne ich. Der Gong zur ersten Runde ertönt.

2Wir reißen beide die Arme zur Doppeldeckung hoch und gehen langsam aufeinander zu. Ich fühle mich wie eine hölzerne Puppe, gar nicht mehr geschmeidig und mit ordentlich Power, wie vorhin an den Pratzen. Eher so glibberig und lahmarschig wie nach’m Ficken. Es sind erst zehn Sekunden der ersten Runde vergangen und ich fühle wie ich Schwierigkeiten habe, regelmäßig zu atmen. Ich pumpe wie ein Maikäfer, versuche einen Jab zu schlagen. Ricardo schlägt zurück. Wir schlagen wie Mädchen. So geht das hin und her, bis ich bei einer Rückwärtsbewegung mit dem linken Fuß aus dem Ring rutsche und fast ins Publikum falle. Die Zuschauer buhen und pfeifen, manche schreien uns entgegen, dass wir Flaschen wären und nach Hause gehen sollen. Gong, Pause.
Ich watschel in meine Ecke, wo Franzl mit Sprühflasche und Handtuch wartet.
„Was zum Teufel machst du da? Du könntest jetzt schon einpacken, wenn der nicht genau so Scheiße wär!“
Ich atme. Ja, außer atmen mache ich eigentlich nicht sehr viel. Gong, Runde zwei.
Ok, ich muss das jetzt hinbiegen, der kann auch nix, also los, hau drauf, das klappte doch sonst auch. In etwa zur gleichen Zeit in der Ringecke gegenüber hatte „De fiesen Möpp“ meiner Meinung nach, exakt die gleiche Idee. Seine neugewonnene Motivation merke ich deutlich im ersten Schlag, den ich geschickt mit meinem Gesicht stoppe. Ricardo hat Blut geleckt. Seine Kondition durch das Marathonlaufen hat nun die Oberhand über die Angst gewonnen und er kommt wie ein wütender D-Zug immer wieder auf mich zu. Ich bin im Rückwärtsgang unterwegs und stoppe in den folgenden zwei Minuten etwa 30 Dinger mit dem Kopf. Die Anwesenden johlen laut bei jedem Treffer, ich werde durch den Ring geschleudert wie eine Puppe und habe echte Mühe, nicht einzuknicken. Zwischendurch bin ich so benommen, dass ich immer wieder mein linkes Bein anheben will, wie ich es vom Thaiboxen kenne. Es wäre fatal, jetzt wegen eines Lowkicks disqualifiziert zu werden, nachdem man voll auf die Fresse bekommen hat. Gong, Pause.

Ich torkel auf die Ecke meines Gegners zu, sein Trainer dreht mich um und schiebt mich in die richtige Richtung. Ok, das mit dem K.O. in der zweiten Runde hat nicht geklappt. Zwei Runden muss ich noch. Ich bin fertig! Franzl schüttelt den Kopf und sagt resigniert:
„Ich kann dir nur Tips geben…, umsetzen musst du das. Du hängst da wie ein nasser Sack in den Seilen und lässt dir die Schnauze einhauen. Mach was!“
Er sprüht mir ein paar mal Wasser ins Gesicht und wischt mir kurz über die Augen bevor er durch die Seile aus dem Ring verschwindet. Er ist sauer. Ich auch. Ich merke, wie ich mich aufbäume. Meine Lunge fühlt sich an, als würde sie auf einmal doppelt soviel Volumen haben. Ich nehme die Hände zur Deckung hoch, die rechte Faust am Kinn fixiere ich „De fiesen Möpp“ und kaue wild auf meinem Zahnschutz. Jetzt zieh dich warm an. Ich werde über dich kommen wie ein Tsunami, dich mit Treffern eindecken, bis du dich einpisst. Wie bei Karate Kid, am Schluss, wenn alle denken, das ist gelaufen…, dann komme ich wie ein Phoenix aus der Asche und reiße das Steuer rum. Komm her, ich bin bereit! Gong, Runde drei.

Ricardo kommt auf mich zu und ballert mir eine rein. Ich wanke rückwärts in die Ringseile. Mein Rücken gleicht dem eines Zebras, die Hälfte der Zeit hing ich in den Seilen. Rote Abschürfungen, manche bluten. Treffer am Kinn, ich wanke, Ricardo setzt nach, ich ducke mich ab. Dann kriege ein volles Pfund und drehe mich um die eigene Achse, Ricardo schlägt mir dabei auf den Hinterkopf und erntet böse Zwischenrufe, Pfiffe und Buhen des aufgebrachten Publikums. Das Affentheater geht weiter, und wir gleichen mittlerweile zwei kleinen Mädels, die sich um einen Lolly prügeln. Unsere Arme hängen am Körper herunter, eine Deckung ist praktisch nicht mehr vorhanden, wir wirken wie teilgelähmte Frauenfußballer. Gong, Pause.

DSC00111Der Ring erscheint mir nicht mehr eckig, sondern rund, es wird schwer, Franzl zu finden. Besonders weil der besoffene Moderator und der Ringrichter auch im Ring stehen. Die letzte Runde wird angekündigt, das Publikum ist total besoffen, asozial und hat den Spaß des Jahrhunderts mit uns beiden Schießbudenfiguren. Franzl grinst mich an und sagt:
„Scheiß drauf, ist eh gelaufen, sieh zu, dass du stehen bleibst, dann haste wenigstens etwas geleistet!“
Ich habe keinen Kampfgeist, ich stehe da einfach unter den Scheinwerfern, blinzle rüber in die andere Ecke, wo Ricardo ähnlich fertig zu mir rübersieht. Wie in Zeitlupe gehen wir aufeinander zu, schlagen mit den Handschuhen vor der letzten Runde ab und gehen zurück in unsere Ecke. Take sieht uns an, nickt beiden zu und sagt zum letzten Mal an diesem Abend:
„FIGHT!“

Gong, letzte Runde, Runde vier. Ich stürze auf „De fiesen Möpp“ zu und decke ihn mit Rechtslinks Schlägen ein, ein Dauerhagel von Schlägen von denen der letzte ihn mit voller Wucht an der Schläfe trifft, das Geräusch ist laut und klatschend. Ricardos Schädel wird von der Wucht herumgerissen, er taumelt, seine Arme fallen herab, und er schüttelt seinen Kopf, er ist angeknockt. Ich mache einen schnellen Schritt nach vorne und versuche noch einen Todesstoß nachzulegen, da trifft mich sein unerwarteter Konter mitten in die Fresse. Fünf oder sechs weitere folgen, ich lehne an den Seilen, tauche seitlich ab und treffe hier und da Ricardos mittlerweile leicht aufgeweichte Birne. Meinen Schlag hat er mittlerweile verdaut und bei mir ist die Luft raus. Wir wedeln noch ein paar Sekunden mit den Armen und klammern uns aneinander bis das erlösende Geräusch ertönt. Gong, Kampfende.

Das Publikum ist begeistert, alle schreien und lachen, es ist eine Stimmung wie bei Kriegsende. Ricardo und ich liegen uns in den Armen, hecheln und schwitzen. Wir beglückwünschen uns zu diesem Schwachsinn und sind ernsthaft froh, dass es vorbei ist. Die Jury ist das Publikum. Durch einen Applausometer wird die Entscheidung gefällt. Mein Name wird ausgerufen und die Halle tobt, meine Leute versuchen sich die Stimmbänder aus dem Hals zu brüllen, um die Sache noch etwas zu beeinflussen. Ich bin stolz und überrascht, wie viele hier meine klägliche Leistung eindrucksvoll genug fanden, um für mich zu schreien.

DSC00123Ricardos Name ertönt. Die Halle bebt. Köln hat seinen Favoriten gewählt. Erschöpft sehe ich wie Ricardo, „De fiesen Möpp“, Heavyweight Champion der NOTRB, den Weltmeistergürtel umgelegt bekommt. Ein blauer Gewichthebergürtel, auf den mit ein paar Popnieten ein Wandteller aus Zinn genagelt wurde. Der Schriftzug NOTRB prangt darüber in schwarzen, fetten Lettern aus Gaffertape. Ricardo reisst die Arme in die Luft und schreit dem Publikum entgegen. Die Menge brennt. Mir brennt die Fresse. Und die Oberarme. Und der Rücken.

Obwohl ich rund 50 Schläge mit meinem Gesicht abgewehrt habe, war es ein gelungener Abend. Ich habe meine Grenzen kennen gelernt, neue Freunde gewonnen, alte neu entdeckt, und ich hatte verdammt viel Spaß. An die Aftershowparty kann ich mich nicht mehr genau erinnern, nur, dass ich noch bei Joe angerufen habe, um ihm von der Niederlage zu berichten. Joe lachte kurz und trocken: „Das war mir klar, du hast ja auch im Biergarten trainiert…“ Ich nicke stumm am Telefon, lege auf und gehe zur Bar. Für El Pulpo gibt’s heute Freibier. Noch ein Kampf, der gewonnen werden muss. Und auch den habe ich verloren.


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